Der Sommer ist zurück und wir sehnen uns nach schattigen Plätzen und kühlen Getränken, um der Hitze zu entkommen und neue Energie zu tanken. Doch kann die Hitze nicht nur auf das Gemüt drücken, sondern auch auf aufgeheizte gesellschaftliche Stimmung, die von Wut und Hetze geprägt ist. Direktorin Dr. Claudia Pfrang betont die Notwendigkeit von Auszeiten und echten Gesprächen, um Sensibilität und Gemeinschaft zu fördern. Gut, dass die Sommerpause vor der Tür steht , so kann neue Kraft geschöpft werden, um nach der Hitze tiefe Gespräche und hitzige Debatten zu meistern.
Sie ist wieder da, diese Hitze: manchmal mehr oder weniger erträglich, oft belastend, insbesondere für vulnerable Gruppen wie kleine Kinder und alte Menschen, Obdachlose und kranke Personen.
Wie sehr sehnen wir uns an diesen Tagen nach schattigen Plätzen, einem kühlen Getränk, ein wenig Abkühlung in der Nacht, nach Auszeiten, um wieder frische Luft zum Durchatmen zu haben für all die Herausforderungen, die täglich auf uns warten.
Diese äußere Situation ist ein gutes Abbild von dem, was wir täglich erleben: aufgeheizte Stimmung – nicht nur in unserem Land. Da tut es gut, immer wieder Auszeiten zu haben, Zeiten, in denen man eher unbefangen mit anderen zusammenkommen kann. Die Fußball-Europameisterschaft war vor kurzem in Deutschland so eine Gelegenheit. Mannschaft wie Fans haben erlebt, wie schön und bereichernd es sein kann, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Zu Recht hat Julian Nagelsmann in der Abschlusskonferenz nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft darauf hingewiesen, „dass wir als Gemeinschaft und in einer gemeinschaftlichen Gesellschaft mehr bewegen können.“ Dazu ist es jedoch unabdingbar, dass wir als Gesellschaft immer wieder zusammenfinden. Das ist derzeit ein schwieriges Unterfangen. Es ist eine „große Gereiztheit“ in unserem Land, wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschreibt. Sie ist gekennzeichnet durch Wut, Hetze und Attacken auf Andersdenkende. Da gibt es aber andererseits auch eine Hypersensibilität, die manchen unterstellt wird und manchen übertrieben vorkommt, wenn Grenzüberschreitungen benannt werden. Als Grund für die erhitzten Debatten macht Pörksen „eine tiefgreifende Kommunikationsrevolution“ aus, vergleichbar mit der Erfindung der Schrift oder des Buchdrucks. Wesentliches Merkmal dieser ist „eine Kommunikationslast, die vor wenigen Jahren unvorstellbar schien“. Informationen unterschiedlichster Art prasseln dauernd und auf unterschiedlichsten Kanälen auf uns ein und sind in all ihrer Vielfalt und Wucht kaum zu verarbeiten.
Was hilft gegen diese permanente Gereiztheit? Sicher hilft am wenigsten, Kontakt zu vermeiden – so wie wir die Hitze nicht wirklich vermeiden können. Aber wir können uns überlegen, wann wir die Kraft und Luft haben für ein anstehendes Streitgespräch, für den Austausch von Argumenten, dafür, uns Emotionen auszusetzen.
aufgeheizt
überhitzt
gereizt
kühler Kopf
klare Gedanken
kaum möglich
abtauchen
abkühlen
sich neu einlassen
in hitzige Debatten
Claudia Pfrang
Unsere Gesellschaft braucht mehr denn je die Begegnung, das Gespräch, die Sensibilität füreinander und dafür müssen wir immer wieder, um im Bild zu bleiben, die Komfortzone unseres klimatisierten Hauses verlassen. Ja, die Hitze ist unangenehm und lässt uns erstmal zurückschrecken. Vielleicht können wir das Verlassen der Komfortzone leichter annehmen, wenn wir es als Hineingehen in eine Wachstumszone betrachten. Wie kann ich besser mit der Hitze, mit der aufgeheizten Stimmung, mit der Kommunikationslast umgehen? Der Therapeut Josef Aldenhoff schreibt: „Wenn ich mich mit Informationen konfrontiere, die schwer zu ertragen sind, sollte ich das nur mit voller Aufmerksamkeit tun. Krieg und widerstreitende Gefühle nebenbei im Multitasking-Verfahren? Ganz schlechte Idee. Nehmen Sie sich Zeit, wenn Sie ganz wach sind, konzentrieren Sie sich auf die anstehenden Informationen, seien Sie Ihren Gefühlen gegenüber, ja, achtsam – und versuchen Sie aus Informationen und den dadurch hervorgerufenen Gefühlen eine Konsequenz für sich zu ziehen.“
Der Kommunikationslast zu begegnen, kann also heißen: Ich verschließe mich nicht den täglichen Informationen, aber ich dosiere sie bewusst. Ich nehme mir bewusst Zeit, sie nicht nur zu hören, sondern auch zu verarbeiten. Ich achte auf meine Gefühle, werde sensibel für mich. Ich bin davon überzeugt: Wer sensibel für sich ist, kann auch sensibler mit anderen umgehen. Und das brauchen wir in Zukunft, Respekt voreinander und echte Wertschätzung im Diskurs.
Flüchten oder Standhalten – das ist jeden Tag neu und ganz persönlich auszutarieren. Wir brauchen Kraft und Mut für hitzige Debatten. Wir brauchen einen kühlen Ort, wo wir „runterkommen“ und all unsere Gefühle und Ambivalenzen ordnen können. Wir brauchen Menschen mit Mut, Herz und Verstand. Wir brauchen den Austausch, denn wir leben, wie Pörksen es auf den Punkt bringt, „vom Sauerstoff des guten Gesprächs“.
Für die anstehende Sommerpause wünsche ich Ihnen von Herzen schattige Plätze und ein kühles Getränk, viel Auszeit mit Freund:innen und tiefe Gespräche, die die Sensibilität füreinander wachsen lässt. All das möge Sie stärken für so manche hitzigen Debatten nach der Hitze.
Ihre Claudia Pfrang
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Bildercredit: Christian Bauer