Im Münchner Norden hat sich die Künstlerin Ariane Hagl ein künstlerisches Paradies geschaffen, das als Zuhause, Atelier und Ausstellungsraum dient. Geboren in Florenz und auf Elba in einer Künstlerkolonie aufgewachsen, bringt sie in ihren Bildern und Performances die transformative Kraft der Kunst zum Ausdruck, indem sie den Betrachter zum Staunen anregen möchte. In ihrer Arbeit vereint sie Malerei, Tanz, Musik und Kunsttherapie, um Menschen auf einer tiefen emotionalen Ebene zu berühren und gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu begleiten.
Ganz oben im Münchner Norden, zwischen Autobahn, Kläranlage und dem Fröttmaninger Müllberg, würde niemand ein Paradies vermuten. Und doch: Nach nur fünfmal Abbiegen, wenn man die A9 verlassen hat, ist man da. In einer ruhigen Seitenstraße voller kleiner, schmucker Siedlungshäuser aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und älter fällt ein dunkelgelber Kubus auf – das Paradies, das sich die Künstlerin Ariane Hagl 2009 mit ihrem Mann geschaffen hat.
Als mich Ariane Hagl ins lichtdurchflutete, L-förmige, blitzblanke Wohnzimmer führt, haben wir schon eine Handvoll ihrer Kunstwerke passiert, die an den Wänden hängen: im Treppenhaus, im Flur, im Wohnzimmer zwischen Küche und Esstisch. Nichts steht oder liegt herum, die ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf die Bilder – und die unerwartete Idylle, die durch die bodentiefen Terrassenfenster das Wohnzimmer verlängert. „Deswegen sind wir hier“, sagt Ariane Hagl, lächelt und zeigt auf das Wasser, das nur wenige Meter vor der bekiesten Terrasse am Haus vorbeifließt: der Garchinger Mühlbach, den man in der Stadt als Eisbach kennt.
Das also ist das Zuhause, das Atelier, die Ausstellungsfläche und der Workshop-Ort von Ariane Hagl. Sie ist: 1964 in Florenz geboren, in einer Künstler:innenkolonie auf Elba aufgewachsen, Malerin, studierte Psychologin, Pädagogin und Kunsttherapeutin, Coach, Erfinderin der Life-Painting-Methode, künstlerische Leiterin von Performances und als solche bestens vertraut mit der Domberg-Akademie. Am 26. Juni präsentiert sie mit zahlreichen Mitwirkenden aus Tanz und Musik ihre Bilder in der Performance Miteinander im Pop-Up der Domberg-Akademie. Wo also beginnen: Ausgestattet mit dem aktuellen Saisonthema der Domberg-Akademie falle ich mit der Tür in ihr wunderschönes Haus: „Worin liegt die Kraft Ihrer Künste?“ Ariane Hagl zögert erst, dann setzt sie an: „Die meisten Menschen sagen, dass sie tief berührt werden. Wenn sie auf meine Bilder schauen, staunen sie oft. Darum geht es mir: dass wir wieder mehr staunen. Das heißt, dass wir nicht alles in unserer Welt begreifen, erklären, verstehen müssen, sondern dass wir uns von etwas ergreifen lassen, unabhängig davon, ob es schöne oder unangenehme Gefühle in uns weckt.“
Ariane Hagl löst aber nicht nur Staunen bei jenen aus, die ihre Werke betrachten. Regelmäßig staunt sie auch selbst, während ihre Bilder entstehen. Denn es ist nicht so, dass sie ein bestimmtes Thema zielgerichtet auf eine weiße Leinwand bannen würde. Ganz im Gegenteil: „Wenn ich ein Bild beginne, habe ich noch keine Idee davon, was ich machen werde. Ich öffne mich, das ist beinahe ein meditativer Zustand.“ Jetzt sprudelt sie los, erzählt mit ausgreifenden Bewegungen, wie sie manchmal an zehn oder mehr Leinwänden gleichzeitig arbeitet, von Bild zu Bild springt, ihren Im[1]pulsen Raum und Ausdruck gibt, dass sie nicht „ins Denken kommen“ darf. „Ich lasse es einfach fließen. Ich bin da total experimentierfreudig.“ Und dann sagt sie diesen schönen Satz: „Es malt durch mich durch.“
Zu ihrem kreativen Prozess gehört auch, dass Ariane Hagl oft nicht gleich weiß, ob ein Bild schon fertig ist oder nicht. In ihrem Atelier voller Wände und knallbunter Farbspritzer kann sie es auch nicht immer richtig beurteilen. Deshalb bringt sie die Bilder dann hoch ins Haus, hängt andere Bilder ab, das neue Werk auf und lässt es wirken. „Während ich Zwiebel schneide oder esse, schaue ich ab und zu hin. Erst wenn die Bilder hängen, zeigen sie sich und entfalten, was eigentlich in ihnen ist.“ Manchmal müssen sie dann wieder ins Atelier, manchmal spürt Ariane Hagl aber auch einfach: Das Bild ist fertig.
Aber was heißt schon fertig? Auch wenn Ariane Hagl ihren Schaffensprozess als „Abenteuer“ bezeichnet, beginnt das eigentlich Reizvolle erst, wenn sie die Bilder der Öffentlichkeit präsentiert. Nur die Bilder, sonst nichts. Keine Titel, keine Beschreibungen, keine Interpretationen. „Ich möchte, dass sich jeder Mensch auf seine Reise begibt und sein Eigenes in den Bildern erlebt. Ich möchte nicht vorgeben, was man sehen soll.“
Hier wird nun langsam deutlich, worum es Ariane Hagl in ihrer Kunst geht – und worum nicht. Sie schafft Erfahrungsräume. Sie möchte Raum geben für die „transformative Kraft von Kunst“, das ist ihr wichtig. Sie hält nichts vom elitären Kunstgeschehen, in dem nur teilnehmen darf, wer viel von Kunst weiß oder versteht und sich Prosecco nippend mit dem Rücken zu den Bildern gewandt am Small Talk beteiligt. Ihr Credo dagegen ist: „Die Kunst soll raus aus den Museen und Galerien und wieder auf die Straße, mitten unter die Menschen, Kunst eine wesentliche Dimension unseres Lebens ist!“
Eine wesentliche Dimension des Lebens von Ariane Hagl ist aber nicht nur die Kunst, sondern vor allem auch die Frage: Wie kann ich die Menschen besser verstehen? Das beschäftigt sie, seit sie Jugendliche war. Deswegen hat sie mit 14, 15 Jahren auch erst einmal zu malen aufgehört, obwohl sie als Tochter eines Münchner Kunstmalers und einer belgischen Mutter umgeben von Kunst auf Elba aufgewachsen ist – mitten in einer Künstler:innenkolonie in Capoliveri, einem Ort ihrer Kindheit voller Farben und Bilder und anderer Künstler:innen, einem Ort, den sie nie aufgegeben hat und an dem sie noch heute immer wieder viel Zeit verbringt. Ariane Hagl wendet sich also den Menschen zu, studiert Psychologie und Pädagogik an ihrem Geburtsort Florenz und Kunsttherapie in Paris. Dann weiß sie, was sie machen möchte: „Ich begleite Veränderungsprozesse mit meiner eigenen Kunst, in denen Menschen kreativ werden.“
Das macht Ariane Hagl jetzt seit über 35 Jahren. Immer wieder will sie erforschen, wie Menschen ticken, was sie antreibt, was sie hemmt, was sie berührt – und wie sie Menschen berühren kann. Das hat sie international gemacht, in Seminaren und Workshops, mit Gruppen, mit Einzelpersonen, in Konzernen, im Hospiz. Sie hat Kreativität bei Ingenieuren geweckt und Manager malen lassen. 2007 entwickelte sie Life Painting, einen kreativen Prozess mit Elementen aus der Familien- und Kunsttherapie.
All das – ihr Malen, ihre Neugier, ihr Interesse an Menschen, ihr Drang nach gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, ihr Mut und ihre Freude, Dinge offen zu lassen – all das hat schließlich dazu geführt, dass Ariane Hagl den Horizont ihrer eigenen Kunst überschritten hat, so wie auf Elba, wo das Begrenzte der Insel für sie erst vollkommen wurde mit der Weite des Meeres. Bei Ana Halprin in Kalifornien kommt sie 2009 zum ersten Mal in Kontakt mit performativer Kunst und schließt gleich eine Ausbildung in Performance, Tanz und Kreativität an.
Jetzt findet die Malerin Ariane Hagl Erfüllung in der künstlerischen Leitung von Performances, in denen sie den Erfahrungsraum ihrer Bilder mit Tanz und Musik, mit Meditation und Workshops erweitert. Mit diesen ausgefeilten Arrangements möchte Ariane Hagl die Menschen auf einer leiblich-emotionalen Ebene erreichen. Dazu gehört das unmittelbare Erleben der Künste ebenso wie die Reflexion darüber, was dieses Erleben für eine:n selbst bedeutet. „Ich habe das Gefühl, dass in den Menschen eine tiefe Sehnsucht ist, die Zeit und den Luxus zu haben, auf relevante Lebensthemen ganz anders einzugehen“, hat die Künstlerin herausgefunden, und sie ergänzt: „Aber oft wissen wir nicht, wie wir das machen sollen.“ Ariane Hagl weiß es offenbar, und das hat für sie „etwas Magisches“: „Ich liebe diese Gesamtkunstwerke, bei denen ich die künstlerische Leitung habe. Das berührt mich ganz tief, weil ich das nicht alleine machen könnte und in diesem Miteinander jede:r seine oder ihre Expertise einbringt.“
Miteinander – das ist auch der Titel der Tanz-Performance, die Ariane Hagl zurzeit für die Domberg-Akademie vorbereitet. Begeistert erzählt sie von der erneuten Zusammenarbeit mit dem Choreographen Johannes Härtl und seiner Tanzschule Iwanson International: „Wir sind uns ganz nah und verstehen uns blendend. Es ist toll, dass seine Schülerinnen wieder bei einer öffentlichen Performance gesehen werden.“ Den musikalischen Part wird ein Schülerinnen-Orchester des Münchner Maria-Ward-Gymnasiums unter der Leitung der Musikpädagogin Michelle O’Reilly bestreiten. „Ich möchte gern mit allen zusammen einen Workshop veranstalten, erstmal zuhören, dann gemeinsam über das Thema reflektieren und ein Bewusstsein dafür schaffen. Dann schauen wir, wer von den Schülerinnen es in der Performance wie ausdrücken will. Und meine Bilder werden dabei immer mitschwingen …“
Mehr will Ariane Hagl über die Performance noch nicht verraten. Außer ihrem Antrieb: „Ich möchte, dass die Menschen die Möglichkeit haben, berührt zu werden.“
Hier finden Sie alle Infos zur Tanz-Performance, über Ihr kommen freuen wir uns sehr!
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Porträt-Text: André Lorenz