Menschen, die sich als Opfer sehen, sind entscheidungs- und handlungsunfähig. Wer die Opferrolle verlässt, erlebt sich als selbstwirksam. Oft gelingt das, indem man den Blick und die Einstellung zu Erlebnissen und Verhältnissen ändert.
In der vierten Säule geht der Blick darauf, was oft daran hindert, neu aufzubrechen und die sich bietenden Chancen zu ergreifen: die Opferrolle. Es geht darum, sich dieser Rolle bewusst zu werden und sich daraus ein gutes Stück zu befreien.
Solange die Verantwortung nämlich auf die „Umstände „ oder „die anderen“ abgeschoben werden, ist die nächste Säule der Resilienz „Verantwortung und Einfluss übernehmen“ nur schwer realisierbar.
Die berühmte Kauai-Studie (1977) der Psychologin Emmy Werner hilft weiter, dieses Phänomen besser zu verstehen, und zeigt, warum diese Studie als Grundlage der Resilienzforschung generell gilt.
Der Resilienzfaktor "Opferrolle verlassen" kann leicht missverstanden werden.
Es wäre ein fatales Missverständnis, schlechte Lebensverhältnisse als individuelles Problem zu sehen, das von der oder dem einzelnen zu bewältigen sei, und Politik, Gesellschaft und Kirchen in ihrer Verantwortung außen vor zu lassen. Doch die Opferrolle verlässt, wer sich in Parteien, Verbänden und Initiativen für eine Verbesserung der ungerechten Zustände engagiert genauso wie die- oder derjenige, die in der üblen Situation Freiheitsoptionen ausschöpft. Wer traumatisierende Gewalt erfahren hat, verlässt die Hilflosigkeit, indem er oder sie sich professionelle therapeutische Hilfe sucht.
Ich gebe Ihnen drei Impulse mit. Sie können helfen, sich aus der Opferrolle zu lösen.
Hilfreich kann es sein, die Perspektive der anderen Seite einzunehmen. Wenn wir uns in der Biografiearbeit mit Zeitgeschichte befassen, wird manchen Teilnehmenden deutlich, warum z.B. damals in einer Krise Eltern so oder so gehandelt haben. Das hilft, diese zu verstehen. Das macht erlittenes Unrecht nicht ungeschehen, aber nachvollziehbarer. Es kann ein Schritt in Richtung Versöhnung mit seiner Geschichte sein.
Das Erlebte bleibt im Lebensrucksack. Manchen hilft ein Blick darauf, welche Kräfte sie entwickelt haben, gerade weil es nicht leicht war. Ich will dabei keinesfalls einem billigen „Krise-als-Chance“-Gerede die Tür öffnen. Aber es ist erwiesen, dass Menschen dann resilient handeln können, wenn sie Krisen gemeistert haben.
Der dritte Impuls setzt voraussetzt, dass man innerlich eine gewisse Distanz zu sich selbst herstellen kann:
Fragen Sie sich, was der Vorteil davon ist, die Opferrolle zu behalten. Ich weiß, das klingt ziemlich provokativ. Jedoch: Opfer zu sein entbindet zum Beispiel davon, Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen. Denn schuld und zuständig sind ja im Zweifelsfall die anderen...
In der dritten Säule der Resilienz geht es ebensfalls um den Perspektivenwechsel hin zur Lösungsorientierung. Es gilt, neue Denkmuster auszuprobieren.