Der Bezug auf ein vermeintlich christliches Menschen- und Familienbild ist ein häufig wiederkehrendes Element radikal-rechter Agitation. Unter Verwendung theologischer Argumente werden Vorstellungen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sowie Maßnahmen zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit abgelehnt. Diese Vereinnahmung des Christentums für eine illiberale Agenda ist Anlass für die Tagung, einen gründlichen Blick auf die Ideen vom Menschen und von Familien im Christentum zu werfen. Konkret werfen wir einen Blick auf soziokulturelle Veränderungen von Partnerschaft und Familie und auf die Instrumentalisierung des Christentums für antidemokratische sowie queer- und transfeindlicher Agitation. In den Workshops werden einzelne Aspekte des Tagungsthemas vertieft und Gegenstrategien mit den Teilnehmenden erarbeitet. Ziel unserer Tagung ist es, eine tiefgreifenden Analyse der Strategien der radikalen Rechten in katholischen Kontexten auf diesem umkämpften Themenfeld vorzunehmen und Engagierte und Interessierte in dieser Auseinandersetzung zu stärken.
Tagungsprogramm
9.30 Uhr Ankommen bei Kaffee und Tee
9.45 Uhr Tagungsbeginn und Begrüßung
10.00 Uhr Impulsvortrag I: Prof. Dr. Martin M. Lintner: Soziokulturelle Veränderungen von Partnerschaft und Familie: eine theologisch-ethische Einordung,
10.30 Uhr Impulsvortrag II: Dr. Rita Perintfalvi: Im Zeichen des „christlichen“ Kinderschutzes. Schwere Menschenrechtsverletzungen an sexuellen Minderheiten
11.00 Uhr Kaffeepause und Verteilung auf die Workshops
11.15 Uhr Diskussion zu den Impulsvorträgen und Rückfragen
12.15 Uhr Mittagspause
13.15 Uhr Workshopphase I
Andres Menne: Medienkompetenz im Umgang mit radikal-rechten Inhalte
Dr. Rita Perintfalvi: Im Zeichen des „christlichen“ Kinderschutzes. Schwere Menschenrechtsverletzungen an sexuellen Minderheiten
Dr. Jan Niklas Collet: Die politische Dimension des Christentums
Dr. Katharina Limacher: „This is WRONG! This is not catholic!” – Deutungsansprüche um Menschen- und Familienbilder in ultratraditionalistischen christlichen Milieus
14.15 Uhr Kaffeepause
14.45 Uhr Workshopphase II (gleiches Angebot wie Phase I)
15.45 Uhr Abschlussplenum
16.15 Uhr Fazit und Verabschiedung
16.30 Uhr Ende
17:00 Uhr Optionales Angebot: „Von der Stadt der Reichsparteitage zur Stadt der Menschenrechte?“ Ein kritischer Rundgang zu Erinnerungsorten in der Nürnberger Altstadt
Impulsvorträge
Soziokulturelle Veränderungen von Partnerschaft und Familie: eine theologisch-ethische Einordung
Die konkreten Wirklichkeiten von Partnerschaften und Familien entsprechen weitgehend nicht mehr dem christlichen Idealbild. Beobachtbar ist eine Pluralisierung von Partnerschaftsmodellen und Familienkonstellationen. Damit einher geht auch eine Infragestellung von überlieferten Geschlechterrollen und die Anerkennung der Diversität von Geschlechtsidentitäten. Diese Entwicklung löst bei vielen Menschen Verunsicherung aus. Wie kann darauf reagiert werden und wie können diese Entwicklungen theologisch-ethisch eingeordnet werden?
Prof. Dr. Martin M. Lintner, Ordentlicher Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-theologischen Hochschule Brixen
Im Zeichen des „christlichen“ Kinderschutzes schwere Menschenrechtsverletzungen an sexuellen Minderheiten
In rechtspopulistischen und rechtsextremen Diskursen ist die Berufung auf christliche Ideale, einschließlich des christlichen Menschen- und Familienbildes, zu einer politischen Kampfwaffe geworden. So kam es in einer „altmodischen christlichen Demokratie“ (Viktor Orbán) unter dem Schlagwort des Kinderschutzes zu gravierenden Entrechtungen auf der Ebene des Grundgesetzes gegen Angehörige der LGBTQ+-Community. Im neo-homophoben politischen Diskurs werden Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit nicht nur in Ungarn, sondern auch in Deutschland bewusst mit pädophilen Straftaten gleichgesetzt. Wie kann auf diese bedrohlichen transnationalen Phänomene, die das Christentum politisch instrumentalisieren aus (pastoral)theologischer Perspektive reagiert werden?
Dr. Rita Perintfalvi, Theologin und Post-Doc-Universitätsassistentin an der Universität Graz
Workshops
1. Schnittstellen von christlichem Fundamentalismus und rechter Radikalisierung bei TikTok
Spätestens seit der Europawahl 2024 steht die politische Bedeutung der Medienplattform TikTok im Fokus öffentlicher Debatten. Anhand konkreter Analysen soll der Workshop die oft aus großer Flughöhe geführten Diskussionen erden. Die Teilnehmenden lernen reichweitenstarke christlich-fundamentalistische Accounts auf TikTok kennen und erhalten exemplarische Einblicke in deren Content, Kommunikationsstrategien und Ästhetiken. Im Mittelpunkt stehen dabei die Schnittstellen von christlich begründeten und radikal rechten Weltanschauungen. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis von digitalen Radikalisierungsprozessen zu entwickeln und über mögliche Präventions- und Bildungsangebote ins Gespräch zu kommen.
Andreas Menne, Leiter des Medienkompetenzzentrums am Katholisch-Sozialen Institut, Köln
2. Die Anti-Gender-Diskurse in Europa auf dem politischen und kirchlichen Schlachtfeld
Im Rahmen dieses Workshops erfolgt nach einer kurzen theoretischen Einführung eine Textarbeit in Kleingruppen. Die Texte, die aus dem deutschen, österreichischen und ungarischen politischen und kirchlichen Kontext stammen, dienen der Veranschaulichung der Zusammenhänge und des Charakteristikums der transnationalen Angriffe gegen Gender. In diesem Kontext kann Ungarn als ein "gefährliches Laboratorium" betrachtet werden, da die dortigen Ereignisse innerhalb der EU stattfinden und somit auch Auswirkungen auf andere Länder haben werden. Diesbezüglich ist insbesondere die Tatsache von Belang, dass Ungarn gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat
Dr. Rita Perintfalvi, Theologin und Post-Doc-Universitätsassistentin an der Universität Graz
3. Souveränität oder Kritik? Zur politischen Dimension des Christentums und ihrer Bedeutung angesichts rechter Normalisierung
Im Februar 2024 erklärte die Deutsche Bischofskonferenz, das christliche Gottes- und Menschenbild seien mit völkischem Nationalismus unvereinbar und rechtsextreme Parteien und Bewegungen könnte „für Christinnen und Christen kein Ort ihrer politischen Betätigung sein“. Dieser begrüßenswerten Abgrenzung der deutschen katholischen Bischöfe zum Trotz ist die Existenz einer christlichen Rechten bzw. eines rechten Christentums eine Tatsache. Dabei kann diese nicht nur an auf den ersten Blick ähnlichen Positionsbestimmungen in bestimmten Fragestellungen – wie z.B. in der Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche anknüpfen. Sie kann v.a. auch eine bestimmte Form politisch-theologischen Sprechens und Denkens aufrufen, in deren Zentrum ein ausgeprägtes Ordnungsdenken steht. Im Workshop gehen wir v.a. dieser Form und ihrer Beziehung zu grundlegenden christlichen Glaubensüberzeugungen nach; wir diskutieren davon ausgehend, ob ein „rechtes Christentum“ eine Instrumentalisierung des christlichen Glaubens ist; und wir erkunden mögliche Formen einer begründeten Kritik dieser politisch-theologischen Sprech- und Denkform.
Dr. Jan Niklas Collet, Geschäftsführer des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW e. V. und freischaffender Theologe mit den Themen Politische und Befreiungstheologien im Gespräch mit der kritischen Entwicklungsforschung, Rechte Normalisierung und Klimakrise.
„4. This is WRONG! This is not catholic!” – Deutungsansprüche um Menschen- und Familienbilder in ultratraditionalistischen christlichen Milieus“
Im Juli 2024 zerstörte ein anonymer Vandale im Linzer Dom eine Marienskulptur, die Teil einer Kunstausstellung war, indem er sie enthauptete. Der drastische Protest hat national und international großes Aufsehen erregt. Er bildet den Ausgangspunkt für den Workshop, in dem wir uns gemeinsam mit Deutungsansprüchen rund um Menschen- und Familienbilder in ultratraditionalistischen katholischen (und anderskonfessionellen) Milieus auseinandersetzen wollen.
Einleitend wird die Workshopleiterin das Phänomen einer entstehenden, transnational und politisch agierenden Christlichen Rechten in Europa analysieren. Anhand der Themen Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch und Sexualpädagogik sowie verschiedener öffentlich zugänglicher Materialien (Initiativen, Petitionen, Tiktok-Videos und andere Social-Media-Quellen) werden wir gemeinsam der Frage nachgehen, welche Menschenbilder hier implizit und explizit propagiert werden und diskutieren, wie ultra-traditionalistischen Haltungen im Alltag begegnet werden kann.
Dr. Katharina Limacher, Religionssoziologin und Programme Managerin der Vienna Doctoral School of Theology and Research on Religion VDTR an der Universität Wien
Optionales Angebot
„Von der Stadt der Reichsparteitage zur Stadt der Menschenrechte?“ Ein kritischer Rundgang zu Erinnerungsorten in der Nürnberger Altstadt
In der Nürnberger Altstadt rund um das Caritas-Pirckheimer-Haus findet sich eine überraschende Vielzahl von Gedenk-, Mahn- und Erinnerungsorten. Die Bandbreite an Ereignissen, Zeithorizonten und Menschen bzw. Menschengruppen, welchen diese Orte gewidmet jeweils sind, ist dabei sehr groß. Auf diesem Rundgang werden einige dieser Orte besucht und anhand erinnerungspolitischer und lokaler Diskurse eingeordnet und diskutiert.
Weitere Informationen
Anmeldemodalitäten
Anmeldung erforderlich (bis 1.11.2024)
über die CPH-Homepage, per E-Mail: akademie@cph-nuernberg.de
oder telefonisch (0911 23 46-0)
Organisatorische Informationen
Tagungsgebühr: 20,- (inkl. Verpflegung)
Ermäßigung, zum Beispiel für Studierende, nach Rücksprache mit der Veranstaltungsleitung möglich
Zielgruppe
Mitarbeitende, Multiplikator:innen und
Interessierte aus Kirche und Gesellschaft
Ansprechperson für Rückfragen und weitere Informationen
Martin Stammler, Tel. 0911 23 46-144,
E-Mail: stammler@cph-nuernberg.de
Veranstaltungsort
Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH)
Königstraße 64, 90402 Nürnberg,
Tel. 0911 / 23 46-0
Mail: akademie@cph-nuernberg.de
Web: www.cph-nuernberg.de
Tagungsleitung:
Kai Kallbach und Martin Stammler Kompetenzzentrum Demokratie und Menschenwürde
Veranstalter: Kompetenzzentrum Demokratie und Menschenwürde der Katholischen Kirche Bayern mit den beiden Standorten Freising (Domberg-Akademie) und Nürnberg (Akademie C.-Pirckheimer-Haus)