In unserer hektischen Welt sind es oft die kleinen Momente der Ruhe und Inspiration, die uns am tiefsten berühren. Ein einfaches Lied uns dazu bringen, innezuhalten und uns mit unseren eigenen Gedanken zu verbinden. Maren Kroymann bringt dies mit den Worten „qualifiziertes Abschweifen“ treffend auf den Punkt. Direktorin Dr. Claudia Pfrang setzt sich mit der transformativen Kraft des Kunstgenusses auseinander und wie dieser in uns erhebende Momente herbei führen kann, sei es bei einem festlichen Gottesdienst oder in einem stillen Moment der Reflexion.
Kennen Sie das auch? Sie hören ein Lied und werden innerlich angerührt. Sie sitzen in einem Film und Ihnen kommen bei einer Szene die Tränen oder er beschäftigt sie noch tagelang. Sie lesen ein Buch, tauchen in eine andere Welt ein und gleichzeitig in Ihrer eigenen Welt wieder auf – es wird Ihnen plötzlich Neues bewusst. Die Schauspielerin Maren Kroymann hat dies treffend so in Worte gefasst: „Mich fasziniert, dass ich auf eigene Gedanken komme. Qualifiziertes Abschweifen nennen ich das.“
Kunstgenuss hat so etwas wie eine „Emotionsgarantie“ – welcher Art die Gefühle auch sein mögen: So ist es für mich jedes Mal berührend, bei einem Festgottesdienst das Lied „Großer Gott, wir loben dich“ zu singen. Und wenn dann noch die Kirchenglocken dazu läuten, versagt mir spätestens bei der zweiten Strophe die Stimme. Das sind erhebende Momente: Sie entheben mich für einen Augenblick des Alltags und öffnen mein Inneres, es kommt etwas ins Fließen – oft sind es Emotionen, die sich in Tränen ausdrücken.
Nicht umsonst spielen die Künste eine wesentliche Rolle in den Religionen. Sie bringen zum Ausdruck, was man in Worte kaum fassen kann. Fast jede Kirche ist wie ein aufgeschlagenes, illustriertes Buch mit Gemälden, die Lebens- und Glaubensgeschichten ins Bild bringen und gleichzeitig dazu anregen, unser Leben nach diesem Vorbild zu gestalten. Die Musik spielt eine zentrale Rolle in den Gottesdiensten, denn sie rührt von innen an, bringt Saiten in uns zum Klingen, die über das Rationale hinausgehen.
Ästhetische und religiöse Erfahrung haben eines gemeinsam: Sie werfen uns auf uns selbst zurück, um uns zugleich mit dem in Berührung zu bringen, was über uns hinausgeht, wonach wir uns im tiefsten Herzen sehnen: Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung, für manche nach dem „Mehr als alles“ im Leben. Dies sind dann die erhebenden Momente, die wir beim Betrachten eines Bildes, beim Lesen eines Buches, beim Hören von Musik erleben dürfen. Und weil Künste das Innere des Menschen öffnen, können sie auch gefährlich sein, wenn sie für Machtinteressen – seien sie politischer oder wirtschaftlicher Art – instrumentalisiert werden.
Die Künste sind es, die Menschen bewegen, mehr zu bewegen als nur sich selbst. Sie können eine transformative, ja sogar revolutionäre Kraft entwickeln – über das Individuum hinaus. „Die Künste sind nicht nur Ausdruck menschlicher Gefühle und Reflexionen, sondern regen die Menschen auch wiederum zu Reflexionen an, bringen Gefühle hervor und lassen uns in Verbindung treten mit anderen.“ So bringt es meine Kollegin Magdalena Falkenhahn in unserem neuen Magazin zu unserem Saisonthema Die Kraft der Künste. Emotion. Transformation. Revolution“ treffend auf den Punkt. Künstler:innen nutzen den Freiraum der Kunst, um Ungerechtigkeiten anzuprangern oder Kritik zu üben.
So ist sind die verschiedenen Künste und die Auseinandersetzung damit integraler Bestandteil unserer Arbeit bei der Domberg-Akademie. Kulturelle Bildung bedeutet lernen mit und in den Künsten. Es meint Nachdenklichkeit zu erzeugen, Fragen zu stellen und zu helfen, Komplexität zu begreifen und die Perspektive zu wechseln. Kunst kann Menschen berühren und öffnet einen Raum, in dem die Kraft von Menschlichkeit und Solidarität erfahr- und erlebbar wird. Kunst kann einladen, uns Unvertrautem zu öffnen und das Vertraute der eigenen Tradition neu zu sehen. Kunst hat die Kraft der Transformation, die wir gerade in unseren aktuellen Zeiten brauchen. Im Spannungsfeld von Differenz und Affirmation ermöglichen sie es, uns als schöpferische und selbstwirksame Menschen zu erleben, in Verbindung mit anderen zu treten, gemeinsam Neue Wege zu gehen und Neues zu gestalten. Ungeahntes wird plötzlich möglich.
Mit unterschiedlichen Formaten und Veranstaltungen laden wir daher mit diesem Programmbereich immer wieder neu ein, diese Kraft der Künste zu erleben und sich von ihnen anrühren und bewegen zu lassen. Etwas, was leider in unserem Alltag oft zu kurz kommt. Und: Wir möchten Ihnen selbst Raum geben, Ihre eigene Kreativität persönlich und zusammen mit anderen zu entdecken und zu entfalten, um neu zu denken, neu zu glauben, neu zu gestalten.
Ihre Dr. Claudia Pfrang