In diesen Tagen der Pandemie kann einen leicht das Gefühl der Ohnmacht überkommen. Daraus folgt oftmals die Selbstviktimisierung: Ich, das Opfer, das nichts ändern kann. Sicher: Es gibt viele Situationen, die ich alleine nicht ändern, aber vielleicht doch beeinflussen kann?
In diesen Tagen der Pandemie kann einen leicht das Gefühl der Ohnmacht überkommen. Gerade im Blick auf die Diskussionen rund um das Thema Impfen beschleicht mich eine gewisse Ratlosigkeit. Warum sind die Impfzahlen im Vergleich zu vielen anderen Ländern wie etwa England so gering? Warum müssen wir in Deutschland immer alles „überstrukturieren“ und riesige Strukturen aufbauen, wenn wir doch ein Netz von Hausärzt:innen zur Verfügung haben? Auch meine bald 80-jährige gesundheitlich angeschlagene Mutter bekam zu hören, dass sie sich doch gedulden solle, sie sei ja schließlich noch keine 80. Dies führt auch bei mir derzeit nicht selten zu Ohnmachtsgefühlen: Was kann ich schon tun, dass es endlich schneller geht?
Daraus folgt oftmals die Selbstviktimisierung: Ich, das Opfer, das nichts ändern kann. Sicher: Das Impfen werde ich nicht beschleunigen können und es gibt viele Situationen, die ich alleine nicht ändern, aber vielleicht doch beeinflussen kann? Theodor W. Adorno schreibt in seiner Minima Moralia: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ Anders gewendet könnte man fragen: Überlassen wir die Macht nicht einfach anderen, weil es leichter ist? Wo kann ich Einfluss nehmen? Macht kann man ausüben, aber besitzen kann man sie nicht. Das lässt sich gut an den sog. Mächtigen der Welt ablesen, die alles Erdenkliche tun, um die Macht zu behalten, koste es, was es wolle. Die Demonstrationen in Belarus, in Russland, Myanmar, aber auch in der katholischen Kirche zeigen uns, wie brüchig manche Machtkonstellationen sind.
Gleichzeitig wird an diesen Beispielen deutlich, wie hartnäckig sich autokratische Machtregime von wenigen mächtigen Männern halten können. Aber auch welche Anziehungskraft die Idee der Demokratie weiterhin für die große Mehrheit der Menschen besitzt. Gott sei Dank leben wir in Deutschland in einem Land, in dem es auf verschiedenen Ebenen vielfältige Möglichkeiten gibt, politisch zu intervenieren, sich zu engagieren und damit eigene Handlungsoptionen zu entdecken.
„Die Freiheitsgeschichte der Menschheit beginnt in jeder neuen Phase damit, dass die Menschen aufhören, an ihre Ohnmacht zu glauben. Dass sie ihre Macht wiederentdecken.“, schreibt Norbert Reck (mehr dazu).
Ist es nicht auch zuvorderst Aufgabe von Kirche, sich für das Aufbrechen von Machtstrukturen, für die Befreiung des Menschen aus Unrechtsstrukturen einzusetzen. Ist es doch Kern der Botschaft Jesu, die Mächtigen zu entmächtigen und denen eine Stimme zu geben, die keine haben.
Gerade Jesus war einer, der Menschen zu Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit befähigte. Der Petrus mit einem aufmunternden „Komm!“ aufforderte, sich ebenfalls aufs Wasser zu begeben (Mt 14,29), seine eigene Angst zu überwinden und auf Gott zu vertrauen? „In der Einübung dieses Glaubens an Gott, an sich selbst und an die eigene Würde liegt der tiefste Sinn von Religion. Gemessen daran sind alle anderen „Glaubensartikel“ unbedeutend. Leider lernt man in den Kirchen zu wenig von dem einen und zu viel vom anderen.“ (Norbert Reck)
An die eigene Würde und sich selbst zu glauben, ist der erste Weg, sich innere Opferrollen und Ohnmachtsgedanken bewusst zu machen und neu das Vertrauen in sich selbst zu stärken. Mehr dazu finden Sie auf unserer Seite zur vierten Säule der Resilienz.
Mögen Sie in der Fastenzeit diese neue Kraft entdecken.
Ihre Claudia Pfrang