Bei vielen Vorfällen von Diskriminierung und Rassismus denken wir vielleicht: Das sind schockierende Einzelfälle. Aber sie sind es nicht. Das wird vor allem deutlich im Gespräch mit People of Color, bei der Zusammenarbeit oder im Umgang mit ihnen im privaten Umfeld.
Kennen Sie Gerald Asamoah? Der erfolgreiche deutsche Fußballspieler wurde erst vor kurzem mit dem Laureus Athlete Advocate of the Year Award ausgezeichnet - nicht für seine Leistungen im Fußball, sondern für sein Engagement im Kampf gegen Rassismus. Mit ihm wurde der außergewöhnliche Film „Schwarze Adler“ gewürdigt, der die Erfahrungen Schwarzer* Spieler:innen im deutschen Fußball dokumentiert. Hier reden nicht Weiße über das Problem des Rassismus, sondern ausschließlich Menschen, die rassistisch beleidigt wurden. Der Filmautor Torsten Körner hat dafür so gut wie alle im Deutschen Fußball bekannten People of Color befragt, so auch Gerald Asamoah, hochumjubelt beim WM-Sommermärchen in Deutschland 2006 und kurz danach bei einem Spiel rassistisch beleidigt. Asamoah selbst engagiert sich seit vielen Jahren mit Aufklärungskampagnen in Schulen. Bei der Auszeichnung sagte er: „Wir wissen, dass Rassismus allgegenwärtig ist und wir genau das ändern müssen."
Der Film zeigt einmal mehr: Rassismus und Diskriminierung sind eine traurige Wahrheit in unserer Gesellschaft – bis heute. Otto Addo, inzwischen im Trainerstab von Borussia Dortmund, sagt im Film: „Ich habe Kontakt zu ganz normalen Menschen und das sind die Probleme wie vor 20, 30 Jahren. Ob das bei der Wohnungssuche ist, bei der Jobsuche oder einfach im Alltag, wo bestimmte Sachen passieren. Da hat sich nicht viel verändert.“ Der Filmemacher Torsten Körner ergänzt in einem BR-Interview. „Der Rassismus ist nicht weniger geworden, sondern er hat sich verlagert, hat sich andere Medien, andere Bilder und Rituale gesucht, aber er ist noch genauso da.“
Auch ich selbst habe miterlebt, wie zum Beispiel viele meiner senegalesischen Freund:innen immer wieder Rassismus erfahren mussten. Eine senegalesische Freundin erzählte mir vor einiger Zeit, dass sie vor der Anmietung einer größeren Wohnung den Besuch der Vermieterin in Kauf nehmen musste, die einfach sehen wollte, ob eine senegalesische Frau eine Wohnung sauber halten könne. Vielleicht denken Sie: Das sind Einzelfälle. Aber sie sind es nicht, wenn Sie People of Color zuhören, mit ihnen zusammenleben und -arbeiten.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, vor dem Gesetz sind alle gleich, niemand darf wegen des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. So steht es in unserem Grundgesetz. Das ist ein Anspruch, der für uns alle gilt – ohne Ausnahme. Und es ist schon bedenkenswert, dass man das im 21. Jahrhundert immer wieder betonen muss. Es zeigt einerseits, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, und anderseits, dass viele in unserer Gesellschaft – auch ich – sehr privilegiert leben. Denn wir müssen uns offensichtlich aufgrund unserer Hautfarbe, unseres Status keine Sorgen machen – andere schon.
Bei der Lecture Performance ermöglichen wir Ihnen die kreative Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung. Unter Lecture Performance versteht man ein Hybrid aus Vortrag mit theatralen Elementen. Die Inszenierung ist ab Mai 2022 als Online-Angebot für Schulen, Jugendgruppen und Pfarrgemeinderäte sowie an ausgewählten Vorstellungsterminen für Einzelpersonen buchbar.
Mit unserem Saisonthema „Was ist dein Privileg?“ möchten wir durch Veranstaltungen und Aktionen diverse Fragen an eine Gesellschaft stellen, in der Diskriminierung und Rassismus trotz aller gesetzlichen Grundlagen und Beteuerungen, immer noch an der Tagesordnung ist. Wir möchten zur selbstkritischen Reflexion unserer eigenen Sozialisation, aber auch unserer Institutionen anregen. Einer Selbstreflexion, die wir nicht gewohnt sind, weil das, was wir als Weiße denken und tun, die Norm ist. Wo sind wir selbst in rassistischen Denkmustern verhaftet? Welche Lieder unserer Kindheit haben uns geprägt – vielleicht mehr als wir denken? Wo sind unsere eigenen blinden Flecken und die unserer Organisationen? Wo entdecken wir den weißen Blick?
Unsere Lecture Performance „Wie werde ich eine Süßkartoffel?" führt genau in diese Reflexion. Die deutsche „Kartoffel“ Lotte und das "Migrantenkind" Sevil führen intensive Diskussionen darüber, warum manche Menschen von Geburt an bessere Chancen haben als andere. Sie reflektieren damit ihre eigenen Privilegien und Benachteiligungen. Unsere Online-Veranstaltung „Nach welchem Bild bilden wir?“ fragt danach, welchen Beitrag Bildung leisten kann, damit Diversität als wechselseitige Bereicherung erlebt und ohne Diskriminierung gestaltet werden kann. Auf Facebook finden Sie außerdem bis zu den Sommerferien Literatur- und Kulturtipps zum Thema sowie ein Diversitäts-ABC.
Daneben möchten wir uns auch als Institution auf den Weg machen, indem wir uns selbst diesen Fragen stellen und Interessensvertretungen eine Plattform geben – in Veranstaltungen und in Kürze auf unserer Webseite. Dass das als kirchliche Organisation eine große Herausforderung ist, ist offenkundig.
Als Domberg-Akademie machen wir uns stark für eine Gesellschaft und eine Kirche, die inklusiv und gerecht sind. Die den Anspruch auf Selbstbestimmung und Entfaltung jedes Menschen anerkennen und fördern. Die auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene die Diversität als Voraussetzung und Bereicherung des Zusammenlebens sehen. Nur so können wir dauerhaft in Frieden miteinander leben.
In diesem Sinne wünsche ich mir wertschätzende Diskurse.
Ihre Claudia Pfrang
Unter weiß und Schwarz sind keine realen Hautfarben oder biologischen Eigenschaften zu verstehen. Die Begriffe beschreiben vielmehr eine politische Konstruktion der Vorherrschaft oder Benachteiligung und werden in diesem Text daher kursiv und klein (weiß) oder groß (Schwarz) geschrieben.