Es war und ist gerade das digitale Netz, das vor allem in Corona-Zeiten viele aufgefangen und neue Dimensionen eröffnet hat. Bei all diesen positiven Aspekten gilt es auch, die Kehrseite der digitalen Vernetzung zu reflektieren.
Weltweit miteinander digital verbunden zu sein, ist großartig, und in Zeiten der Pandemie gab und gibt dies vielen von uns die Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben – in der Familie, mit Freundinnen und Freunden. Doch der digitale Austausch ging und geht weit über das Persönliche hinaus. Mein politisches Ehrenamt findet derzeit nur noch im Netz statt. Wenigstens so kann Gemeinwesen trotz aller Beschränkungen gemeinsam diskutiert und gestaltet werden. Auch für uns als Bildungseinrichtung bietet „das Netz“ gerade die einzige und gleichzeitig einzigartige Möglichkeit, Bildung unter die Menschen zu bringen. Es ermöglicht uns, Räume für den Diskurs zu eröffnen, die ansonsten verschlossen geblieben wären. Unsere Erkenntnis nach einem Jahr Pandemie lautet: Es geht weit mehr als wir gedacht haben! Unser Netzwerk hat sich erweitert, wir konnten digitale Diskussionsforen schaffen, die für viele derzeit der einzige Ort sind, in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen.
Es war und ist gerade das digitale Netz, das vor allem in Corona-Zeiten viele aufgefangen und neue Dimensionen eröffnet hat.
Bei all diesen positiven Aspekten gilt es auch, die Kehrseite der digitalen Vernetzung zu reflektieren: Geraten im virtuellen Raum Menschen aus dem Blick und werden abgehängt, die entweder keinen Zugang zu dieser Welt finden oder sich entsprechende Technik nicht leisten können?
Stark beschäftigt mich auch, wie in einer zunehmend digitalen Gesellschaft Wissen, Meinungen und Werte in einer immer mehr fragmentierten Öffentlichkeit gebildet werden (können). Erleben wir durch die neuen Medien eine Stärkung von Freiheit und Gleichheit durch mehr Partizipation und Interaktion? Oder sind Freiheit und Gleichheit nicht gefährdet, weil nur die mitkommen, die mithalten können?
Können Bürgerinnen und Bürger nun leichter und mehr Einfluss nehmen oder werden sie zum Spielball neuer Kräfte im Netz? Wird mehr Vielfalt erst ermöglicht oder sind wir mehr denn je in den sog. „Filterblasen“ unterwegs, weil wir die andere Meinung leichter wegklicken können und sowieso nur jenen folgen, die wir gut finden?
Wo und wie verständigen wir uns in Zeiten von Hate Speech und Fake News? Wer trägt Verantwortung im Netz? Letztlich gilt es deutlich zu machen, dass Unternehmen wie Facebook und Twitter anderen Logiken folgen, nämlich denen eines unternehmerischen Handelns, und nicht in erster Linie demokratisches Handeln fördern.
Schöne neue Welt mit Sonnen- und Schattenseiten.
Durch die Digitalisierung verändert sich unsere Welt in hoher Geschwindigkeit und es tauchen immer wieder Dinge auf, mit denen wir nicht gerechnet haben. Es ist die Gabe zur Differenzierung und letztlich die Fähigkeit zum Aushalten von Komplexität gefordert. Und vielleicht ist es ab und an notwendig, Komplexität für sich zu reduzieren und sich zu fragen: Was brauche ich wirklich? Was gibt mir Halt? Welches Netz hält und trägt mich?
Ohne das eigene „analoge“ Netzwerk zu pflegen, ob digital oder im persönlichen Kontakt, werden all diese Komplexitäten nicht zu bewältigen sein. Aushandlungsprozesse, die nötig sind, wo verschiedene Meinungen aufeinanderprallen – und die gibt es in jeder Familie -, gelingen am besten im direkten face-to-face-Austausch. Es ist schließlich das Netzwerk aus Beziehungen, das immer wieder gepflegt werden muss, das uns durch all die schwierigen Zeiten trägt. Impulse dafür, wie das gelingen kann, finden Sie hier.
Ich wünsche Ihnen für die bevorstehenden Kartage, dass Sie Zeit finden mögen, Ihr Netzwerk, ob analog oder digital, zu pflegen.
Ihre
Claudia Pfrang