Steigende Mieten in deutschen Städten schaden längst nicht mehr allein Menschen mit geringem Einkommen. Die Folgen sozialer Ungleichheit auf dem Wohnungsmarkt kommen der ganzen Gesellschaft teuer zu stehen.
21 Prozent – eine erschreckende Zahl. Sie findet sich im aktuellen, im März veröffentlichten Mietspiegel für München: Dort ist die Durchschnittsmiete seit 2021 – in nur zwei Jahren – um 21 Prozent gestiegen. Eine enorme, für viele kaum noch tragbare Mehrbelastung. Schlimmer noch: Da der Mietspiegel die Grundlage zur Berechnung zulässiger Mieterhöhungen ist, drohen hunderttausenden Menschen in München Mieterhöhungen bis zu 15 Prozent.
Von Armut betroffene oder bedrohte Menschen leiden besonders schmerzhaft unter einem so angespannten Wohnungsmarkt – sie werden immer stärker ver- und rausgedrängt, haben kaum noch Chancen auf eine halbwegs angemessene Wohnung, müssen sich mit sehr beengten Wohnungen in einem schlechten Zustand begnügen oder gar in Notunterkünften oder auf der Straße leben. Über 8.000 Menschen sind in München als wohnungslos registriert. Der Artikel „Damit Menschen nicht auf der Strecke bleiben“ in unserem DA-Magazin Ausgabe 5 schildert, wie die Stadt und gemeinnützige Organisationen versuchen, denen zu helfen, die von der Wohnungsarmut besonders hart betroffen sind.
Allerdings: In München und vergleichbar teuren Regionen leiden längst auch Menschen der unteren Mittelschicht unter den hohen Wohnkosten. Sie müssen oft einen dermaßen hohen Anteil ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben, dass für viele andere Bedürfnisse kaum etwas übrigbleibt. Im deutschlandweiten Durchschnitt muss ca. ein Viertel des verfügbaren Einkommens in die Miete gesteckt werden – aber eben nur im Durchschnitt! Soziale Ungleichheit heißt hier, dass für ein Fünftel der Mieter:innen 40 Prozent und mehr ihres Einkommens allein durch die Miete gebunden ist. Je niedriger das Einkommen, desto höher fällt in der Regel der Anteil aus. Wenn aber das bloße Wohnen schon einen Großteil des Einkommens beansprucht, bleiben wenige finanzielle Möglichkeiten, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen und den eigenen Kindern Perspektiven zu eröffnen.
Das hat Folgen – nicht nur für die Betroffenen selbst: Wer sich das Leben und insbesondere Wohnen in einer so reichen Stadt mit einem Einkommen nicht leisten kann, das an anderen Orten vielleicht auskömmlich ist, zieht nach Möglichkeit weg oder gar nicht erst her. Dadurch verschärft sich der Arbeitskräftemangel in Städten wie München dramatisch, nicht zuletzt im Bereich erzieherischer, sozialer und pflegerischer Arbeit. Nicht wenige dringend benötigte Kindertageseinrichtungen etwa werden zwar gebaut, können aber nicht oder nur zum Teil in Betrieb genommen werden – weil das Personal fehlt. Kinderpfleger:innen und Erzieher:innen, aber auch Pflegekräfte, können sich das Leben in München in der Regel nur dann leisten, wenn sie besser verdienende Partner:innen haben.
Wohlfahrtsverbände wie der Caritasverband warnen daher schon lange davor, dass die für viele „Normalverdiener:innen“ kaum mehr tragbaren Mieten die soziale Daseinsvorsorge gefährden. Ähnliche negative Effekte auf die Personalgewinnung gibt es auch in der Privatwirtschaft, insbesondere in den Dienstleistungsberufen, aber auch im Bereich unterer Vergütungs- und Besoldungsgruppen des öffentlichen Dienstes. Das alles hat Folgen, auch für den reicheren Teil der Stadtgesellschaft. Hier zeigt sich konkret, dass eine zu große Ungleichheit letztlich uns alle ärmer macht.
Das Recht auf eine angemessene Wohnung – übrigens im Artikel 106 der Bayerischen Verfassung verbrieft – ist ein altes Thema der Katholischen Soziallehre. Der Staat ist in der Pflicht, direkt und indirekt für einen bezahlbaren und angemessenen Wohnraum für alle zu sorgen. Dabei kann und soll er zwar die auf Rendite abzielenden, unternehmerischen Kräfte zum Zuge kommen lassen, darf aber das Grundgut Wohnung nicht zu einer Ware verkommen lassen, deren Verteilung gänzlich den Gesetzen des Marktes unterworfen wird.
Der Staat (auf all seinen Ebenen) darf und soll gerade in diesem Feld regulieren und intervenieren (etwa durch Maßnahmen zur Mietbegrenzung oder durch Erhaltungssatzungen), wenn legitime Ansprüche Profitinteressen untergeordnet werden und wenn der Markt allein versagt. Und er darf und soll in der Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle selbst aktiv werden bzw. diese fördern. Dazu zählen der über lange Zeit sträflich vernachlässigte Soziale Wohnungsbau, aber auch Förderprogramme für Menschen und Familien der Mittelschicht, die sich ein Leben in teuren Boomregionen sonst nicht leisten können.
Die Frage, wie soziale Ungleichheit uns um eine reichere Zukunft bringt, steht im Fokus der neuen Ausgabe des DA-Magazins rund um unser Saisonthema "Verwehrte Zugänge". Außerdem teilen wir auf den Themenseiten wie immer spannende Berichte, Meinungen und Ausblicke unseres Bildungsteams und stellen Ihnen das aktuelle Programm der Akademie im Frühling und Sommer vor. Digital oder per Post in Ihren Briefkasten!
Gerade mit Blick auf Immobilien und hier insbesondere auf Boden betont die Katholische Soziallehre die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Wer über die knappe Ressource Boden verfügt, hat auch die Verantwortung dafür, dass diese Ressource Nutzen stiftet für das Gemeinwohl. Dies gilt ganz besonders dann, wenn der ökonomische Wert des Eigentums an Boden ohne eigenen Verdienst und maßgeblich durch Investitionen von Staat und Kommunen gesteigert wird, etwa durch Erschließungsmaßnahmen oder die Schaffung von Infrastruktur. Ein teilweises Abschöpfen des daraus erwachsenen Profits durch Kostenbeteiligungen an öffentlichen Ausgaben oder Besteuerung sind mehr als gerechtfertigt. Hier geht es auch darum, einen spekulativen Umgang mit Boden, der nur auf Profitsteigerung setzt und Nutzen für Dritte verhindert, unattraktiv zu machen. Im Sinne einer gerechten Verteilung von Lasten und Gewinnen ist in dieser Hinsicht noch viel zu tun.
Insgesamt ist festzustellen, dass Städte wie München bereits einiges leisten, um das Recht auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu verwirklichen. Allerdings: Um dem Thema Wohnen als einer zentralen Gerechtigkeitsfrage gerecht zu werden, bedarf es noch sehr viel mehr Anstrengungen auf allen politischen Ebenen.
Dabei geht es nicht „nur“ um das wichtige individuelle Recht auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum: Die hohen Wohnkosten in „teuren Städten“ wie München gehen oft mit Prozessen der räumlichen Separierung einher: Attraktive Lagen werden durch den Zuzug von besonders Vermögenden „aufgewertet“ und so teuer, dass es zur Verdrängung von Menschen kommt, die nicht unbedingt zu den Armen zählen, aber dennoch nicht mehr mithalten können. Diese „Gentrifizierung“ führt zur zunehmenden Aufteilung und zum Auseinanderdriften der Stadtgesellschaft, die sich dann kaum noch als solche erlebt.
Papst Franziskus beschreibt dagegen in Laudato si‘ (LS 151) die Vision einer Stadt, die als gemeinsamer Raum erlebt und gestaltet wird. Ziel müsse es sein, „dass die verschiedenen Teile einer Stadt gut integriert sind und die Bewohner ein Gesamtbild haben können, statt sich in Wohnquartieren abzukapseln und darauf zu verzichten, die ganze Stadt als einen eigenen, gemeinsam mit den anderen genutzten Raum zu erfahren. (…) Auf diese Weise sind die anderen nicht mehr Fremde und können als Teil eines ‚Wir‘ empfunden werden, das wir gemeinsam aufbauen“.
Um uns dieser Vision wenigstens immer mehr anzunähern, ist beides notwendig: Wir brauchen politische Maßnahmen, v.a. eine der Gentrifizierung vorbeugende Stadtplanung sowie förder- und baurechtliche Instrumente. Wir brauchen aber auch das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürger:innen: Die Verantwortung, sich nicht abzukapseln, sondern in den gemeinsamen Stadtraum einzubringen und sich um Begegnung zu bemühen, kann zwar politisch gefördert werden, aber nicht einfach an „die“ Politik delegiert werden. Hier sind wir alle gefragt!
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Text: Dr. Thomas Steinforth
Was macht soziale Ungleichheit mit Menschen? Und wo verstärken Systeme die Ungleichverteilung von Vermögen und Chancen, verriegeln Türen? Im Saisonthema "Verwehrte Zugänge" beleuchten wir die soziale Schere, die Betroffenen und schlussendlich der gesamten Gesellschaft schadet.